Report Mainz vom 19. Januar 2004
Enteignet
für die Einheit - Brisante Vorwürfe gegen
Regierung Kohl
Moderation Fritz Frey:
Jetzt möchten wir Sie mit dieser jungen Frau
(Foto) bekannt machen. Sie heißt Constanze Paffrath,
ist 35 und sitzt für die CDU im Stadtrat von
Mülheim. Bald ist Frau Paffrath Frau Doktor Paffrath.
Die Dame hat promoviert. Sie hat sich intensiv mit
der deutschen Geschichte befaßt. Sie hat Enteignungen
untersucht und zwar die, die in der sowjetisch besetzten
Zone Deutschlands zwischen 1945 und 1949 stattgefunden
haben.
Besonders interessiert hat sie die Frage, warum diese
Enteignungen mit der deutschen Wiedervereinigung nicht
rückgängig gemacht wurden? Ein Thema, noch
heute brisant, wie Oliver Merz und Tom Michel erfahren
haben.
Bericht:
Zwischen 1945 und 1949 enteigneten die Kommunisten
in der sowjetischen Besatzungszone etwa 40.000 Grundbesitzer.
Die sogenannte demokratische Bodenreform sollte landlosen
Flüchtlingen und Kleinbauern eine Existenzgrundlage
bringen. Doch was bis heute wenig bekannt ist: Es
ging nicht nur um Grund und Boden. Mit dieser Aktion
wurden auch Zehntausende mittelständische Betriebe
enteignet. Unternehmer, Handwerker, Kleinindustrieelle.
Diese Enteignungen wurden 1990, mit der deutschen
Einheit, ausdrücklich nicht rückgängig
gemacht, die Rückgabe oder Restitution ausgeschlossen.
Dies sei eine Bedingung der Sowjetunion für die
Einheit gewesen.
O-Ton, Helmut Kohl,
Ehem. Bundeskanzler (Januar 1991):
»Der
Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 und
1949 wurde von der Sowjetunion zu einer der Bedingungen
über die Wiedervereinigung gemacht. Und ich sage
klar: Die Einheit Deutschlands konnte an dieser Frage
nicht scheitern.«
Sieben Jahre später mußte der Kanzler
erleben, wie sein Partner bei der Einheit eben diese
Bedingung dementierte.
O-Ton, Michail Gorbatschow,
Ex-Präsident UdSSR (März 1998):
»Für
mich klingt es einfach absurd, wenn man mir unterstellt,
ich hätte die Forderung nach Verbot der Restitution
als Vorbedingung für meine Zustimmung zur Wiedervereinigung
gemacht. Und die Frage nach Restitution des enteigneten
Besitzes wurde auf der höchsten Führungsebene
niemals angesprochen.«
Dieser Widerspruch zwischen den beiden Staatsmännern
ist ungeklärt.
Constanze Paffrath hat diesen Widerspruch nun akribisch
aufgearbeitet. Die Politikwissenschaftlerin hat zu
diesem Thema eine Doktorarbeit geschrieben. Jahrelang
hat sie alle verfügbaren Dokumente der Wendezeit
ausgewertet und die Verhandlungen um die deutsche
Einheit rekonstruiert. Protokolle, Vertragstexte,
Medienberichte, Akten über die Zwei-plus-vier-Verhandlungen
und die Verhandlungen zwischen der DDR und der Regierung
Kohl analysiert. Ihr Ergebnis:
O-Ton, Constanze Paffrath,
Politikwissenschaftlerin:
»Es
gab diese sowjetische Bedingung nicht, die da, wie
immer behauptet wurde, sagte, wenn ihr nicht diesem
Rückgabeverbot zustimmt, stimmen wir der Wiedervereinigung
nicht zu, das ist eine Lüge.«
Frage:
Warum wurde diese Lüge in die Welt gesetzt, aus
Ihrer Sicht?
O-Ton, Constanze Paffrath,
Politikwissenschaftlerin:
»Ja,
sie wurde in die Welt gesetzt, weil man relativ früh
bemerkt hat, daß man die eigenen Absichten,
die da ja hießen, wir bringen dieses Vermögen
in unsere Hand, um es dann zu verkaufen, über
die Treuhand im übrigen, nicht einfach so durch
das Parlament bekommen würde. Weil das ja gegen
das Eigentumsrecht verstößt. Und dann hat
man gedacht, was könnte man als gutes Argument
bringen, und dann hat man eine ausländische Forderung
erfunden.«
Constanze Paffrath hat die Dissertation an der Universität
Duisburg eingereicht. Sie ist mit der bestmöglichen
Note bewertet worden: Summa cum laude. In den Gutachten
zu ihrer Arbeit ist die politische und historische
Bedeutung hervorgehoben worden.
Udo Madaus kämpft seit Jahren gegen diese Enteignungen.
Der Unternehmer, dessen Firma seit 1946 in Köln
ansässig ist, ist einer von vielem sogenannten
Alteigentümern, die sich als Opfer der Regierung
Kohl fühlen.
O-Ton, Udo Madaus,
Unternehmer (in seinem Büro, Film):
»Nach
der Wende und zwar auch nach diesem Einigungsvertrag
habe ich mich bemüßigt gefühlt, natürlich
an die Politiker und an alle möglichen Institutionen
Briefe zu schreiben, um meiner Empörung da Luft
zu machen über die Regelung. Das sind also alles
Briefe an Politiker, dann Briefe an das Bundesverfassungsgericht,
Briefe an diverse Juristen (zeigt auf zahlreiche Ordner),
es sind natürlich auch Briefe von den entsprechenden...«
Frage:
Wie viele Briefe haben Sie denn geschrieben?
O-Ton, Udo Madaus,
Unternehmer:
»Ein
paar tausend.«
Die Arzneimittelfabriken Madaus und Co., 1919 gegründet
(mehrere Foto- und Filmeinstellungen). Das Unternehmen
war führend in der Penicillinherstellung. Das
Schicksal der Firma ist beispielhaft für viele
der nach 1945 aus ideologischen Gründen enteigneten
Betriebe. In der sowjetischen Besatzungszone nutzten
kommunistische Funktionäre jede Möglichkeit,
Unternehmer zu enteignen. In der DDR wurde die Firma
als Arzneimittelwerke Dresden im Volkseigentum weitergeführt.
Das alte Madaus-Werk heute, eine Industrieruine.
Bis heute werden solche Immobilien zugunsten des Staates
verkauft. Die Alteigentümer bekommen nur eine
minimale Entschädigung. Die Nicht-Rückgabe
enteigneter Unternehmen, wie im Falle Madaus, eine
gewaltige Hypothek für den Aufbau im Osten. So
sehen es viele der Alteigentümer. Tausende vertriebene
Mittelständler, die sich vom deutschen Staat
betrogen fühlen, fehlen im Osten als Investoren,
so eines der Argumente.
O-Ton, Udo Madaus,
Unternehmer (in seinem Büro):
»Durch diese Unwahrheiten
der Bundesregierung ist mein Rechtsgefühl natürlich
aufs tiefste verletzt worden. Weil damit ja auch die
Nicht-Rückgabe oder die Nicht-Rückkehr in
die Heimat verbunden war. Das war ja ausschlaggebend.
Wir wollten ja in Radebeul-Dresden, an dem ursprünglichen
Standort, investieren und Arbeitsplätze schaffen
und da drüben Flagge zeigen.
Das erwarteten auch die alten Radebeuler noch. Die
konnten sich ja an die Firma Madaus noch erinnern,
ja. Und das wurde alles verhindert.«
Doch warum soll die Regierung Kohl 1990 den Bruch
eigener konservativer Grundpositionen begangen haben?
Warum sollte sie die Rückgabe verhindert haben?
O-Ton, Constanze Paffrath,
Politikwissenschaftlerin:
»Sie
hat es getan, um womöglich erst einmal diese
Volkskammerwahlen 1990 zu gewinnen, weil das ein sehr
gutes Argument war, man würde an der demokratischen
Bodenreform nicht rütteln, daß man das
den ostdeutschen Wählern verkaufen konnte. Und
man hatte das Argument in der Hand, daß man
sagen konnte, die Einheit Deutschlands wird keine
Steuererhöhung nach sich ziehen.«
Frage:
Welche Rolle spielten dabei die Ländereien, um
die es ging?
O-Ton, Constanze Paffrath,
Politikwissenschaftlerin:
»Ja, man hatte die
Vorstellung, daß man, wenn man dieses Vermögen
der Enteignung 1945-1949 in die Hand des Staates bringen
würde über die Treuhand und es dann wieder
verkaufen würde, ungefähr eine Summe von
600 Milliarden D-Mark in die Hand bekommen würde,
die man dann eben in den Haushalt einstellen könnte
und damit die Einheit Deutschlands finanzieren könnte.«
Einen letzten Beweis in Form eines Kronzeugen oder
eines Dokuments gibt es für ihre Thesen nicht.
Die Arbeit rekonstruiert einen schwierigen politischen
Prozeß. Sie fügt Indizien zu einer anklagenden
Hypothese zusammen. Sie wird nun von interessierter
Seite in die juristischen Auseinandersetzungen eingeführt.
Am Max-Planck-Institut für Völkerrecht in
Heidelberg berät Professor Karl Doehring, einer
von Deutschlands renommiertesten Staatsrechtlern,
mehrere Anwälte, die vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in dieser Sache
geklagt haben.
Die Arbeit von Constanze Paffrath ist den Richtern
dort vorgelegt worden.
O-Ton, Prof. Karl Doehring,
Staatsrechtler:
»Ich
habe die Dissertation gelesen. Ich halte sie für
hervorragend, sie ist voller Genauigkeit und Akribie
und mich hat sie überzeugt in ihrem Ergebnis.«
Frage:
Was für eine juristische Auswirkung kann sie
haben?
O-Ton, Prof. Karl Doehring,
Staatsrechtler:
»Sie
könnte immerhin, doch auch das jetzt, das Straßburger
Menschenrecht, den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof
davon überzeugen, daß unsere Regierung
rechtswidrig gehandelt hat.«
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
in Straßburg wird in zehn Tagen mit den mündlichen
Verhandlungen zu den Klagen der Alteigentümer
beginnen. Dies ist juristisch die letzte Chance für
die Alteigentümer, nachdem das Bundesverfassungsgericht
schon mehrfach Klagen abgewiesen hatte.
Doch unabhängig vom Straßburger Urteil.
Das Thema ist politischer Sprengstoff, der nicht zuletzt
die Politologin Paffrath nachhaltig erschüttert
hat.
O-Ton, Constanze Paffrath,
Politikwissenschaftlerin:
»Ja
ich muß sagen, ich habe mich immer wieder geprüft,
ob ich auch seriös arbeite, ob die Quellen auch
alle stimmen, weil man sich schon bewußt ist,
daß man eine große Verantwortung hat,
wenn man so etwas schreibt und wie man auch mit dem
Ergebnis umgeht. Und ich muß sagen, ich bin
persönlich auch sehr enttäuscht, weil ich
Unionsmitglied bin und mir so etwas nicht vorstellen
konnte, bevor ich diese Forschungen angefangen habe.
Jetzt kann ich mir aber fast alles vorstellen.«
In Kürze wird die Arbeit veröffentlicht.
Maßgebliche Politiker der Deutschen Einheit
haben sich zu ihr bislang nicht geäußert.
Weitere Informationen zum Beitrag:
Die Dissertation von Constanze Paffrath soll im Februar
2004 unter dem Titel „Macht und Eigentum - Die
Enteignungen 1945-1949 im Prozeß der deutschen
Wiedervereinigung“ im Böhlau-Verlag, Köln
erscheinen.
Moderation: Fritz Frey; Bericht: Oliver Merz, Thomas
Michel; Kamera: Norman Bever, Thomas Schäfer,
Frank Schindler; Schnitt: Jörg Hommer, Christian
Schreiber