StrafrechtlicheRehabilitierung,Wichtig!!
Aus aktuellem Anlaß muß der Vorstand der IOB davor warnen, bei Anträgen
auf strafrechtliche Rehabilitierung nach Verurteilungen durch sowjetische
Militärgerichte den Weg über die Dresdener „Stiftung sächsische Gedenkstätten“
oder sonstige staatliche Stellen, insbesondere auch des AA zu gehen. Ratsam ist
die Einschaltung eines Rechtsanwalts vor Ort für die Einreichung des Antrags auf
strafrechtliche Rehabilitierung unter gleichzeitiger Einsichtnahme in die
russischen Akten. Auch sollte tunlichst davon abgesehen werden, das zuständige
LAROV oder sonst eine staatliche Stelle von dem Antrag auf strafrechtliche
Rehabilitierung zu unterrichten.
Dem Vorstand der IOB liegt der Fall eines Mitglieds vor, der, wenn er nicht im Wesentlichen schriftlich dokumentiert wäre, im wahrsten Sinne
des Wortes unglaublich ist.
Der Urgroßvater dieses Mitglieds, Miteigentümer mehrerer
Fabriken, war Anfang des Jahres 1946 nach Art. 58-2 des Gesetzbuches der RSFSR
verurteilt worden. Art. 58-2 des Gesetzbuches der RSFSR sah Sanktionen für
folgende Delikte vor:
·
Bewaffneter Aufstand
· Eindringen
von bewaffneten Banden in das Sowjetgebiet in gegenrevolutionärer Absicht
· Ergreifen der zentralen oder örtlichen Gewalt in der gleichen oder der
insbesondere der Absicht, von der Union der SSR und/oder einzelner
Unionsrepubliken einen ihrer Gebietsteile gewaltsam abzutrennen oder die von der
SSR mit ausländischen Staaten abgeschlossenen Verträge aufzuheben.
Der Urgroßvater war zu 10 Jahren Haft unter Einziehung des (gesamten)
Vermögens verurteilt worden. Er verstarb 1947 in der Haft, angeblich an Typhus.
Da er der Vergehen oder Verbrechen nach Art. 58-2 nicht schuldig war, muß
er rehabilitiert werden. Weil die Verurteilung vor der für die allgemeinen
Enteignungen auf sogenannter besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher
Grundlage maßgebenden Gesetzgebung in dem betreffenden Land der SBZ lag (zur
Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts für die jeweilige „Enteignung auf
besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“ BGHZ 133,98, dazu
IOB-Rundschreiben vom 12.12.2012) würde eine strafrechtliche Rehabilitierung
bedeuten, daß das IOB-Mitglied einen vollen Restitutionsanspruch hätte: Mit der
Rehabilitierung wäre die Enteignung aufgehoben. Eine spätere, wiederholte
Enteignung auf sog. besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage
ohne strafrechtliche Verurteilung kann daran nichts ändern, weil diese
spätere Enteignung ins Leere ging: Eine Person, die bereits (vollständig)
enteignet war, kann nicht mehr erneut enteignet werden. Salopp ausgedrückt:
Einem nackten Mann kann man nicht (mehr) in die Tasche greifen. Entsprechend
haben deutsche Verwaltungsgerichte auch in vergleichbaren Fällen entschieden.
Allgemein wegen der Wiedergutmachungsansprüche nach seinem Urgroßvater,
die bisher noch nicht bearbeitet waren, suchte unser Mitglied Mitte
2012 das zuständige LAROV zusammen mit 2 Verwandten auf. Dabei kam die Rede auf
eine mögliche strafrechtliche Rehabilitierung. Im Rahmen der Erörterung brüllte
die zuständige Sachbearbeiterin unser Mitglied an und erklärte sinngemäß, der
Urgroßvater sei ein „Imperialist“ gewesen und hätte außerdem wegen
Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt werden müssen, weil er
Zwangsarbeiter beschäftigt habe. Sie habe schon dafür gesorgt, daß es zu
keiner strafrechtlichen Rehabilitierung komme. Sie kenne dafür Mittel und Wege.
Unser Mitglied stellte darauf selbst über die „Stiftung sächsische
Gedenkstätten“ einen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung bei der dafür
zuständigen Staatsanwaltschaft der russischen Föderation. Dieser Antrag ist bis
heute nicht bearbeitet. Anstelle eines Bescheids zu diesem Antrag wurde ihm –
informell – von der „Stiftung sächsische Gedenkstätten“ eine Entscheidung eines
russischen Militärgerichts von Anfang 2013 übermittelt, wonach auf Antrag der
deutschen Bürgerin … (es folgt der Name der Sachbearbeiterin des LAROV) und der
russischen Staatsanwaltschaft die Rehabilitierung ausgeschlossen sei. Der
Urgroßvater habe sich zwar nicht nach Art. 58-2 des Strafgesetzbuchs der
RSFSR strafbar gemacht, sei aber wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit
zutreffend verurteilt worden. Er habe Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter
schlecht behandelt. Worin die schlechte Behandlung bestanden haben soll, wieso
dies (nach russischen Maßstäben) ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen
sei und warum dies die Verurteilung (und vollständige Enteignung) des
Urgroßvaters gerechtfertigt haben soll, wird nicht erörtert. Erörtert wird
auch nicht die Glaubhaftigkeit der Denunziationen von 5 deutschen Personen, die
in der Entscheidung zwar genannt und auf die die Entscheidung gestützt wird,
deren Erklärungen und Aussagen aber nicht einmal ansatzweise inhaltlich
dargestellt werden.
Eine nachträgliche Verurteilung wegen Verbrechens/Vergehens gegen die
Menschlichkeit nach 67 Jahren dürfte nach den Gesetzen der Russischen Föderation
nicht vorgesehen sein. Sie wäre auch längst verjährt. Zudem gibt es für eine
derartige Verurteilung keinerlei ausreichende Beweise. Soweit der
Beschluss des Rehabilitierungsgerichts auf Zeugenaussagen aus den Jahren 1945/46
verweist, kann diesen Zeugenaussagen schon deshalb nicht gefolgt werden, weil
sie nur in schriftlicher Form vorliegen.
Außerdem ist zu beachten, daß diese (schriftlichen) Aussagen nicht aktuell
sind und wegen der besonderen Verhältnisse der Nachkriegszeit äußerst kritisch
zu werten sind. Die Nachkriegszeit nach dem Einmarsch der sowjetischen
Armee war geprägt von einem allgemeinen Denunziantentum. Insbesondere Leute, die
meinten, unter den bürgerlichen Verhältnissen Deutschlands zu kurz gekommen zu
sein, betrieben nach dem Zusammenbruch Deutschlands die Entmachtung der
bisherigen bürgerlichen Führungsschichten mit dem Ziel, sich an deren Stelle zu
setzen. Die kommunistische Umwälzung unter der Hoheit der sowjetischen
Besatzungsarmee bot ihnen dazu die Gelegenheit. Die Denunziationen waren
das Mittel, um die bisherige politische und wirtschaftliche Führungsschicht
strafrechtlicher Verfolgung auszuliefern und auf diese Weise aus ihren
Positionen zu entfernen.
Abgesehen von der grundsätzlich gebotenen Skepsis gegenüber Denunziationen
der Jahre 1945/46: Die vom Beschluss des Rehabilitierungsgerichts in Bezug
genommenen Zeugenaussagen werden obendrein durch eine beeindruckende
Anzahl von Zeugenaussagen widerlegt, die sich ebenfalls bei den offenbar
vom Beschluss herangezogenen deutschen Akten befinden. Diese
Zeugenaussagen werden im Beschluss mit keiner Silbe erwähnt.
Unser Mitglied verlangte nach Erhalt des Beschlusses des russischen
„Rehabilitierungsgerichts“ von der „Stiftung sächsische Gedenkstätten“ die
Übermittlung des im Beschluß erwähnten Antrags der Bürgerin … Die „Stiftung
sächsische Gedenkstätten“ antwortete darauf, der Antrag sei bei ihr vorhanden,
da auch der Antrag der Bürgerin… über sie gelaufen sei. „Aus betriebsinternen
Gründen“ verweigerte sie jedoch die Herausgabe.
Außerdem teilte sie mit, daß nach russischen Recht nicht nur der durch die
strafrechtliche Verurteilung Betroffene bzw. seine Erben berechtigt seien, einen
Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung zu stellen, sondern überhaupt jeder
Bürger (man muß wohl ergänzen: gleich welchen Landes). Das dürfte kaum
stimmen (wird aber vorsichtshalber im Auftrag unseres Mitglieds noch überprüft).
1.
Eine nachträgliche Abänderung des Urteils aus dem Jahre 1946
2. mit
nachträglicher Verurteilung
3. auf
Antrag einer Mitarbeiterin eines LAROV
4. und
ohne Beteiligung des Betroffenen bzw. seiner Erben
5. und
ohne ein Verfahren, in dem das Für und Wider der Gründe einer Verurteilung auch
nur erörtert wird,
ist völlig jenseits jeder Rechtsstaatlichkeit. In Rußland, in dem ein
Michail Chodorkowski alle sieben Jahre aufs Neue verurteilt wird, bis er
vielleicht als alter Mann aus dem Gefängnis kommt, ist so etwas, wie der
vorliegende Fall zeigt, offenbar trotzdem möglich.
Völlig unglaublich ist allerdings, daß eine deutsche Behörde
–wahrscheinlich auf Druck oder Veranlassung von höchster Stelle – die pubertäre
Rechtsstaatlichkeit Rußlands mißbraucht, um gesetzlich garantierte Rechte ihrer
Bürger auszuhebeln.
Der Vorgang legt den Verdacht nahe, daß es sich um keinen Einzelfall
handelt. Nachdem die russischen Behörden Anfang der 90er Jahre mit
Rehabilitierungen von SMT-Verurteilungen relativ großzügig waren (Man erinnere
sich an den Namen Kopalin), hatte die Bundesregierung dem einen Riegel
vorgeschoben. Angesichts des vorliegenden Falls geht das offenbar so weit, daß
auf Veranlassung der Bundesregierung russische Rehabilitierungen regelrecht
hintertrieben werden.
Köln, am 13.8.2013
gez. Dr. Rosenberger
IIOB-Vorsitzender
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